Rechtssituation bei Rückständen in Bio-Lebensmitteln

Wenn Pflanzenschutzmittelspuren (PSM) in Bioprodukten festgestellt werden, stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt (noch) um Bioprodukte handelt. Das ist dann nicht (mehr) der Fall, wenn PSM-Spuren auf einem Verstoß gegen das EU-Bio-Recht beruhen.
Dieser Verstoß kann in einer unzulässigen PSM-Verwendung beruhen oder in einem Verstoß gegen die Pflicht PSM-Kontamination aus anderer Quelle zu vermeiden.
Bioprodukte werden nicht durch das Unterschreiten von PSM-Grenzwerten als solche definiert. Das EU-Bio-Recht setzt keine entsprechenden Grenzwerte.
Welche Lebensmittel „Bio“ sind oder nicht, wird durch Vorgaben für die landwirtschaftliche Erzeugung und die Verarbeitung der Produkte entschieden. Dabei sind die Positivlisten sehr wichtig, die darüber entscheiden, was als PSM in den Kulturen und zum Schutz der geernteten Erzeugnisse eingesetzt werden darf.
Ob ein Produkt „Bio“ ist, wird durch die normative Vorgabe des Verfahrens der landwirtschaftlichen Erzeugung und der Verarbeitung von Bioprodukten sowie durch die Prüfung entschieden, ob diese Vorgaben eingehalten wurden.
Somit also durch die gesetzliche Definition des Prozesses der Herstellung und nicht durch eine „End of Pipe“-Betrachtung der im Bioprodukt eventuell vorhandenen PSM-Spuren.
Sind PSM-Spuren vorhanden, ist zu prüfen, ob sie auf eine Verwendung im Sinne eines gezielten Einsatzes bei der Herstellung des Produktes hinweisen. Ist dies der Fall, handelt es sich nicht um ein Bioprodukt.
Ist dies nicht der Fall, etwa weil die PSM-Konzentration deutlich niedriger liegt, als bei vergleichbaren konventionellen Produkten, stellt sich die weitere Frage, ob gegen andere Vorgaben des EU-Bio-
Rechts verstoßen wurde, auch ohne das eine Verwendung des PSM erfolgte, sodass aus diesem Grund kein Bioprodukt vorliegt.
Häufig kommt bei PSM-Spuren der Gedanke der Abdrift aus benachbarten Kulturen ins Spiel. Das EU-Bio-Recht setzt keine Regel, dass Abdrift aus konventionellen Kulturen die Angabe „Bio“ bei Ernteprodukten in Frage stellt, die aus biologischen Kulturen stammen, in der der Betreiber tatsächlich keine PSM verwendet, die das EU-Bio-Recht verbietet.
Und es sieht nicht vor, dass der Eintrag von Spuren ubiquitärer, globaler oder regionaler, PSM-Belastung die Angabe „Bio“ in Frage stellt.
Während das EU-Bio-Recht keine Regeln für unerwünschte Kontamination aus konventioneller landwirtschaftlicher Praxis setzt, spricht es die Vermeidung von Lagerkontamination an. Ein Produkt aus biologischem Anbau ist daher dann kein Bioprodukt, wenn gegen diese Kontaminationsvermeidungspflicht des EU-Bio-Rechts verstoßen wurde.
PSM-Spuren können Spuren von Wirkstoffen sein, die nicht nur in PSM, sondern auch in Mitteln mit anderem Verwendungszweck vorhanden sind. Rühren diese Spuren in einem Bioprodukt vom Einsatz für diese anderen Zwecke her, ist zu prüfen, ob das EU-Bio-Recht diese Verwendungszwecke überhaupt betrachtet. Das EU-Bio-Recht setzt nämlich nicht bei der Verpflichtung an, für die Abwesenheit von bestimmten Wirkstoffen in Bioprodukten zu sorgen.
Sein Instrument ist, anzuordnen, dass für bestimmte Verwendungszwecke, zum Beispiel als PSM, nur die eingesetzt werden dürfen, die durch Positivlistung für die biologische Produktion zugelassen wurden.
Da sich manche Wirkstoffe sowohl in PSM, wie auch in Desinfektionsmitteln und Bioziden finden, die nicht für den Schutz von Pflanzen oder Ernteprodukten, also nicht als PSM eingesetzt werden, sondern bei der Entwesung leerer Produktions-, Lager- und Transporteinrichtungen, muss man klären, was das EU-Bio-Recht bezüglich der Spuren solcher Verwendung vorgibt.
Wenn es nichts vorgibt, können die Spuren solcher Verwendung im Produkt die Angabe „Bio“ nicht in Frage stellen.
Das EU-Bio-Recht gibt für den Fall, dass PSM-Spuren von einem Verstoß gegen Pflichten bei der Herstellung eines Bioproduktes herrühren, einen Mechanismus möglicher Reaktionen, insbesondere Partienaberkennung und Biosperre auf Zeit für den Betrieb, vor. Es ordnet keine starren Sanktionen an, sondern verpflichtet zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
Für die Fälle des ungewissen Sachverhalts, wenn nicht klar ist, was die Ursache von PSM-Spuren sind, ordnet es eine Schrittfolge von Vermutung, Verdacht, Untersuchung, fortdauernder Sperre und automatische Freigabe bei Nichterhärtung von Verdacht an, die, wenn sie angemessen und sachkundig umgesetzt wird, funktional und sinnvoll ist.
Die Handelspraxis orientiert sich an Faustregeln, zum Beispiel den Orientierungswerten des BNN. Werden diese Orientierungswerte überschritten, gibt dies regelmäßig Anlass zur Nachschau.
Häufig macht es aber wenig Sinn, retrospektiv die landwirtschaftliche Erzeugung oder den Wege zu untersuchen, den ein Bioprodukt mit solchen PSM-Spuren nahm, denn verbotenen PSM-Einsatz dokumentiert niemand. Im Nachhinein lässt sich die Anwendung verbotener PSM praktisch nicht nachweisen.
Es ist sinnvoller, PSM-Rückstände als Indizien für künftiges Risiko zu werten und PSM-Probenahme in der Kultur und in den Ernteprodukten zu kritischen Zeitpunkten vorzusehen. Sachgerecht sind Zeitpunkte, vor denen die Versuchung unerlaubt PSM in einer Biokultur anzuwenden, besonders groß ist. Die Wahl des richtigen Zeitpunkts ist wichtig, denn viele moderne PSM bauen sich rasch ab.
Die Bewertung von PSM-Spuren in einem Bioprodukt sollte die Eigenschaften des PSM, insbesondere seine Flüchtigkeit und die mutmaßlichen Gründe eines Einsatzes berücksichtigen.
In der Handelspraxis werden häufig Formulierungen verwandt, die mit dem Lieferanten eines Bioproduktes bezüglich PSM-Spuren etwas vereinbaren oder die ihn diesbezüglich etwas zusichern lassen. Hier ist wichtig, zu verstehen, dass die Zusicherung im Sinne einer Garantie wirkt und zwar so, dass der Lieferant für die Folgen von PSM-Spuren, zum Beispiel Wegfall der Bioauslobung bei einem Verarbeitungsprodukt, haften soll, auch wenn für ihn die PSM-Belastung des von ihm (weiter-) gelieferten Erzeugnisses nicht erkenn- und nicht vermeidbar war. Mit Einkaufs-AGBs kann die Garantie in der Regel nicht begründet werden (BGH, 05.10.2012, VIII ZR 16/05).
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Bild: www.pixelio.de
Weitere Informationen finden Sie in folgenden Werken:
Fragen & Antworten: Das EU-Bio-Recht
Dieser Band zeigt Praktikern in den Unternehmen, was für ihre Arbeit bei der Herstellung und beim Vertrieb von Biolebensmitteln wichtig ist. Dabei behandelt er vor allem die Praxis in Deutschland.
Heute findet man das EU-Bio-Recht in der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rats und den Verordnungen (EG) Nr. 889/2008 und Nr. 1235/2008 der Kommission.
Um Sachverhalte rechtlich richtig zu beurteilen, müsste man alle drei Verordnungen im Zickzack lesen und verstehen. Der Band „Das EU-Bio-Recht“ aus der Reihe „Fragen & Antworten“ hilft, Stolperfallen zu erkennen und praktische Fragestellungen folgerichtig zu bewältigen.
Der Sinn und der Anlass rechtlicher Regelungen des EU-Bio-Rechts werden vor dem Hintergrund seiner häufigen Veränderungen nachvollziehbar dargestellt.
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Das komplett überarbeitete Loseblattwerk „Praxishandbuch Bio-Lebensmittel“ liefert Ihnen das gesamte Wissen zum Thema Bio-Lebensmittel. Entlang des Wertschöpfungs- prozesses erfahren Sie alles, was Sie bei der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung biologisch erzeugter Lebensmittel wissen müssen. Kapitel zu Themen wie Recht & Kontrolle, Ressourcen oder auch Management runden das Handbuch in idealer Weise ab.
Sie erfahren außerdem, wie Sie gezielt Absatzwege für Bio-Produkte aufbauen und diese erfolgreich nutzen.
Durch die übersichtliche Darstellung und die Erläuterung der Gesamtzusammenhänge ist dieses Handbuch ideal geeignet, um sich einen fundierten Überblick über die bestehenden Anforderungen des Bio-Marktes zu verschaffen.